FREISING IM GEDÄCHTNIS DER SLOWENEN

 

Peter Hawlina

 

Die mir angebotene Zusammenarbeit auf dem Symposium verstehe ich in dem Sinn, daß ich als Laie eine allgemeine Vorstellung von Freising in slowenischer Geschichte darstellen soll. Ich hatte Gelegenheit einige Hunderte von Adressaten anzusprechen, die zeitweise die Informationen des Slowenischen Vereins für Familienkunde empfangen. Kaum etwa fünf von den Angesprochenen haben geantwortet. Im allgemeinen hieß es, Freising errinnere sie an die Freisinger Denkmäler. Der hier beschriebene Versuch war zwar kein ernsthafteres Feststellen des allgemeinen Kennens der Rolle Freisings in der slowenischen Geschichte. Aber von den  Hunderten von Angesprochenen würde ich dennoch mindestens ein Paar Antworten erwarten, die die Handvoll oberflächlicher Mitteilungen übertreffen sollten. Auch ich selbst kann mich errinnern, daß der Unterricht der Geschichte und der slowenischen Sprache in der Mittelschule die Frage kaum noch streifte.

Die Einwohner von Škofja Loka wissen darüber zwar bedeutend mehr als die Einwohner anderer Teile Sloweniens. Etwas mehr wird in der Schule gelehrt, gelegentliche Ereignisse erwecken das Gedächtnis an Freising im Unterbewußtsein. Mittelbar errinnert uns an Freising das Wappen, ein Rest geschichtlicher Verhältnisse. Die Gestalt des Mohren und das Wort Freising selbst erscheinen in den Bennenungen von Gaststätten und wirtschaftlichen Unternehmen. Das Gedächtnis ist in den Literaturwerken und sogar in der Mythologie erhalten. Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist die Legende über das Wappen von Škofja Loka. Es scheint mir ein guter Ausgangspunkt, um einige Tatsachen darzulegen und Hypothesen aufzustellen, die sich dabei anbieten.

 

Das Wappen von Škofja Loka[1]

In Škofja Loka wird es erzählt, daß der erste Landbesitzer, der mit seinem krummen Stab seine Leibeigenen bändigte, Abraham hieß. Vor vielen Jahren aus Bayern nach Škofja Loka gezogen war er auf seiner Burg so lange zu Gast, bis er slowenischer Sprache kund wurde. Überglücklich, daß er sich nun mit seinen Untertanen und Fronarbeitern in derer Sprache verständigen konnte, begab er sich an einem Frûhlingstag nach fernem Ort Idrija. Er wurde von einem Mohren begleitet, den der Herr von Škofja Loka von der reichen Stadt Aquileja zu Geschenk bekommen hatte.

Sie reisten durch das Poljane-Tal. Dieses war zu der Zeit mit Gehölz verwachsen und es lebten dort so viele Bären, daß man sie nicht mal abzuzählen vermochte. Weh dem Reisenden, der sich durch die Wälder ohne Waffen auf den Weg begab. Aber der Mohr, der seinen Herrn begleitete, war ein scharfsinniger Mann; er rüstete sich mit einem Bogen und tat Pfeile in den Köcher.

Als die beiden so über den weichen Waldboden schritten, stießen sie plötzlich auf einen riesengroßen Bären. Fürst Abraham hielt erschrocken auf und zitterte vor Furcht am ganzen Leibe, sein Diener aber, nicht faul, spannte seinen Bogen und schoß einen spitzen Pfeil ins Herz des Bären. Das Untier brach tot auf der kühlen Erde zusammen. Der Herr umarmte seinen Retter und sagte: »Du hast mir das Leben gerettet, du treuer Diener, ich werde dich für deine Heldentat belohnen, so daß die kommenden Geschlechter sich errinnern werden, was für ein Held du warst«.

Alsbald die beiden auf die Burg blutlebendig zurückgekehrt waren, ließ Abraham unverzüglich in seinem Wappen, das nun durch Jahrhunderte die Größe der Fürsten von Škofja Loka rühmen sollte, den Kopf seines Retters abbilden. Seit dieser Zeit befindet sich im Wappen von Škofja Loka der Kopf des schwarzen Mohren.

Leider können wir Lojze Zupanc nicht mehr die Frage stellen, ob er den Inhalt der Legende der Volkserzählung, ohne eigene Zutaten, entnam. Es ist zwar wohlbekannt, daß Bischof Abraham etliche Jahre im Exil in Kärnten und Krain verbrachte. Er soll damals in Maria Wörth am Wörthersee und in Loka gelebt haben. Es gab im 10. Jahrhundert kein Škofja Loka, es gab aber Loka. Wie diese Siedlung aussah und wie groß sie war, können wir heute kaum erraten. Auch die heutige Stadt Aquileja weist von außen ausgesehen auf ihre geschichtlich erwiesene Bedeutung nicht. Von Loka vor 1000 Jahren besteht kein Bildmaterial. Dieses wird erst einige Hundert Jahre später entstehen, als im Zusammenfluß eine Stadt und über ihr eine Burg gewachsen war. In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts wohnte der Bischof sehr wahrscheinlich in Loka, das heißt im Ort, der heute Stara Loka oder auch Fara genannt wird, denn die »Mutterpfarrei« des heiligen Georg erstreckte sich über den ganzen Bodenbesitz der Herrschaft von Škofja Loka in der Zeit ihrer größten Ausdehnung. Die Stadtpfarrei des heiligen Jakobus wurde erst vor 200 Jahren gegründet.

Abraham wohnte also in Loka. Er verfügte über keine Kirchengewalt. Es kann die Frage gestellt werden, was er in dieser Zeit trieb. Ich werde nicht versuchen zu klären, wie er von Loka aus das Bistum Freising verwaltete. Wir können dennoch der Legende Glauben schenken, daß er auch Reisen unternahm. Nichts Unmögliches, daß er in der Tat einen schwarzen Diener hatte, um so mehr glaubwürdig klingt es, daß er ihn vom Bischof  von Aquileja zu Geschenk bekommen hat. So erscheint das Erlebnis mit dem Bären weniger abgedroschen. Nebenbei gesagt: die Fabel über Bischof und Bären ist aus anderen ähnlichen Geschichten her bekannt. Vielleicht am bekanntesten ist jene über den Bischof Korbinian, der auf seiner Romreise den Bären belud, nachdem dieser ihm den Esel und das Maultier erschlagen hatte.

Interessant in der Legende erscheint die Erwähnung, daß der Bischof Slowenisch erlernte. Auch dies ist nicht zu zweifeln. Die beiden Länder, Krain und Kärnten, waren zu der Zeit durch slowenischsprachige Mehrheit besiedelt. Die Wörter slowenisch und Slowene waren damals zwar nicht bekannt, auch Slowenien konnte niemand vorausahnen, aber es ist uns jedoch üblich zu sagen, daß die Sprache der damaligen Einwohner auf diesen Gebieten die slowenische war. Abraham beherrschte also die Sprache der einheimischen Einwohner.

Wer versucht zu erraten, wie Loka vor der Ankunft Abrahams auszusehen vermochte? Wieviel Einwohner lebten hier? Ich wage es nicht einmal anzufangen. Es ist nur bekannt, daß hier zwei bedeutende Wege sich kreuzten. War dies der Anlaß, daß Loka bekannt wurde? Sowohl Abraham, der Beschenkte, wie auch der damalige Kaiser Otto II., der Schenker, müssen Loka gekannt haben. Kannten sie Loka etwa von früher? Abraham und Otto sind Freunde. Was für Freunde und seit wann, das weiß wahrscheinlich niemand. Es ist bekannt, daß Otto sehr jung den Thron bestieg. Er kämpfte viel und es ist vollkommen möglich, daß der eine oder der andere Feldzug ihn über Krain führte. Reisten sie zusammen? Er heiratete die byzantinische Prinzessin Theophanu. Hat er sie sich auf dem byzantinischen Hof  aus der Nähe besehen oder hat man es aus der Ferne erledigt? Haben Otto und Abraham Loka unter allen anderen auf gut Glück oder als Kenner ausgewählt? In der Urkunde ist zwar auch die Mutter Ottos Adelheide von Burgundien erwähnt, die bei der Schenkung Pate stehen sollte. Auf Empfehlung  unserer Mutter ... heißt es in der Schenkung. Man könnte diesen Text auch so verstehen, daß die Mutter die Bedeutung Lokas kannte und daher ihre Empfehlung. Die Tatsache ist, daß der Grundbesitz von Loka in »unserem Lande« das erste Beispiel solcher Schenkungen darstellt. Andere Gebiete werden später interessant sein.

Abraham hatte keine Kirchengewalt weder auf dem Herrschaftsgebiet von Loka noch auch auf anderen Landbesitzen, er hatte aber bestimmt mit den Kirchenangelegenheiten zu tun. Von freundschaftlichen Beziehungen mit Aquileja spricht sogar die Legende. Warum werfe ich die Frage der Pastoraltätigkeit auf? Teilweise aus dem Grund, weil das Christentum in unserem Lande damals noch jung war und das Staatsinteresse verlangte nach seiner Stärkung, vor allem aber deshalb, weil die Texte in slowenischer Sprache in seinem persönlichen Nachlaß aufgefunden wurden.

Abraham kehrte nach dem Tod Ottos II. nach Freising zurück und dort starb er. Sein Nachlaß wurde im Archiv aufbewahrt, wo er wahrscheinlich unberührt auf die Zeit vor 200 Jahren wartete, als wegen der Säkularisationsmaßnahmen der Freisinger Diözesanarchiv nach München übergebracht werden mußte. Bei der vorgenommenen Überprüfung und wahrscheinlicher Auswahl des Archivmaterials wurde man auf die Texte aufmerksam, bei denen die Sprachwissenschaftler slowenischen Ursprung feststellten. Drei Pergamentblätter gehörten zum Reiseritualbuch Abrahams. Wozu sollte der Bischof ein Reiseritualbuch mit sich führen, wenn er keine Pastoraltätigkeit ausübte?  Wozu sollte er Texte in slowenischer Sprache bei sich haben, wenn nicht deshalb, weil er sie bei dieser seiner Tätigkeit gebrauchte. Man könnte kaum ein schwereres corpus delicti finden als die Auffindung von slowenischen Texten beim Bischof, der einen beträchtlichen Teil seiner Verbannungszeit in Loka verbrachte.

Das ist es, weshalb die Slowenen für Freising wissen müßten, auch wenn die erwähnten Texte sich dort nur dank der glücklichen Umstände erhalten haben. Die Säkularisation war Anlaß  fürs »Aufräumen« des Archivs und so am 200. Jahrestag der Säkularisation auch 200 Jahre der Entdeckung der für die Slowenen so kostbaren Dokumente – Dokumente, die wir wirklich Denkmäler nennen dürfen.

Texte in slowenischer Sprache gab es zu der Zeit, wie auch früher und noch später Gott weiß wieviele. Aufbewahrt haben sich eben diese, nach ihnen aber erst einige Jahrhunderte später die Handschriften von Videm (Udine) und Èedad (Cividale).

Ich habe zwei kostbare erhaltene Dokumente erwähnt, beide aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts: die Schenkungsurkunde und die Freisinger Denkmäler. Beide sind unmittelbar mit dem Bischof Abraham verbunden: das erste errichtet das Besitztumsverhältnis zwischen dem Grundbesitz von Loka und der Freisinger Diözese, das andere wird durch das Ende dieses Verhältnisses der Vergessenheit entrissen.

An die Zeit der Besitzunterordnung Lokas der Diözese von Freising errinnert in hohem Maße das Wappen von Škofja Loka, das heute noch in Gebrauch ist. Die Mohrengestalt im Wappen war und ist immer noch Gegenstand vieler Mutmaßungen und Deutungsversuche. Keine von ihnen ist wissenschaftlich angenommen und immer geringer ist die Möglichkeit, daß wir je zu fester Auslegung gelangen werden. Die Freisinger Bischöfe führen den Mohren in ihrem Wappen seit zweiter Hälfte des 13. Jahrhunderts. Aus der Zeit stammt die älteste Darstellung des Mohren im Wappen des Bischofs Emich. Es gibt keinen Beweis für die Erscheinung der Mohrengestalt aus der Zeit zuvor. Ungefähr 300 Jahre sind also nach der Rettung Abrahams durch seinen schwarzen Diener verlaufen. Sind die 300 Jahre etwa zu lang, um das Gedächtnis an dieses Ereignis zu bewahren? Mag sein. In Freising gibt es aber noch ein Wappenmotiv: den beladenen Bären des heiligen Korbinian. Dieser lebte einige Jahrhunderte vor »unserem« Abraham, der im Jahr 957 zum Bischof geweiht wurde und am 7. Juni 994 starb. Er pilgerte nach Rom, wo er von Papst Konstantin I. zum Bischof ernannt worden war. Es war um das Jahr 710, das Wappen mit dem beladenen Bären erscheint jedoch erst 1340, also gute 600 Jahre später (http://www.ngw.nl/int/dld/f/freising.htm). Beide Legenden mögen Lügengeschichten sein, obwohl Begegnungen mit den Bären in jener Zeit alles andere als Seltenheit gelten, die Protagonisten aus der einen und aus der zweiten bekommen aber nach einigen hundert Jahren in der Orts- und Diözesansymbolik ihren Platz. Die Legende über die Entstehung verliert in diesem Zusammenhang ihre Trivialität. Im Gegenteil, sie fällt überraschenderweise in allen anderen Elementen mit den geschichtlichen Tatsachen zusammen.

Nach der Säkularisation wurde das Freisinger Bistum dem viel jüngeren Münchner Nachbarbistum angegliedert, das das erstere schon lange hinausgewachsen war und dabei auch sein Wappen nicht mehr führte. Etwa zwanzig Jahre lang suchte man nach neuem Wappen, bis zum Entschluß, daß der Mohr weiterhin im neuen Wappen der vereinigten Diözese regieren soll.

Es wäre schwer festzustellen, was für Schicksal die Mohren traf, die in die Wappen zahlreicher Freisinger Besitztümer eingefügt waren. Nach der Säkularisation könnte man erwarten, daß auch die Wappen dieser Orte sich wandeln werden und daß der Mohr mit der Krone aus diesen Ortsymbolen verschwinden würde.

Es geschah aber nicht!

Warum? Wer weiß es? Vielleicht wegen mangelnder Bewußtwerdung, vielleicht wegen Bequemlichkeit, um den Kosten auszuweichen? Auch der Markuslöwe ist auf fast allen Eingangstoren in die Städte, die einst der Republik Venedig gehörten, zu sehen.

Würde heutzutage jemand in sein Stadttor den venezianischen Löwen einbauen? Würde jemand den Mohren mit der Krone einfügen? Diese Frage soll ich aus eigener Erfahrung beantworten. Bei der Reorganisation der Lokalselbstverwaltung entstanden auf dem Herrschaftsgebiet Lokas vier Gemeinden. Nur die Gemeinde von Škofja Loka behielt und durch einen entsprechenden Erlaß bestimmte wiederum das Wappen mit dem Mohren als sein Wappen. Den anderen drei Gemeinden – Žiri, Železniki und Gorenja vas – Poljane wurde zwar eine Systemlösung der Gemeindesymbolik mit übereingestimmten Fahnen und dem Mohren im Wappen angeboten. Der Vorschlag wurde überall entschieden zurückgewiesen.

Mit der Freisinger Geschichte ist auch die Kolonisationsbesiedlung auf den Gebieten von Sorško polje, Selška und Poljanska dolina eng verbunden. Die Einwanderer sprachen deutsch und slowenisch. Wahrscheinlich stammten aus Freising nur sehr wenige von ihnen, obwohl viele Einwohner von Škofja Loka glauben, daß ihre fernen Vorfahren aus Freising stammten. Unter den Zuwanderern gab es zwar viele aus Bayern, mehr noch aus Tirol und Kärnten. Der Rede nach waren diese den Slowenen näher als den Deutschen.

 



[1] Aus der Legendensammlung von Škofja Loka, die unter dem Titel Kamniti most (Die Steinbrücke) Lojze Zupanc veröffentlichte.